| 1. Die Spinnstube ist eine Arbeitsstube, in der 
                          auf dem eigenen Felde gezogener oder gekaufter Flachs 
                          gesponnen wurde. Aber man spann hier nicht zuerst für 
                          den eigenen Gebrauch. In früheren Jahren ist 
                          Oberhessen, zumal der nördliche Teil, viel von 
                          Garnhändlern besucht und bewohnt gewesen, welche in 
                          den Dörfern und auf den Märkten das gesponnene Garn 
                          aufkauften. Unsere damals weit ärmere Bevölkerung fand 
                          in diesem Garnspinnen Verdienst; war's auch nicht 
                          groß, es war doch etwas. Die alten Leute unserer 
                          Dörfer erzählen noch oft und gern von der früheren 
                          Armut, der kärglichen Lebensweise, dem wenigen 
                          Hausgerät. War's auch nicht an allen Orten so schlimm 
                          wie in Rebgesheim, Köddingen und Sichardshausen, wo 
                          noch vor 50, 60 Jahren das halbe Dorf weit übers Land 
                          hinein betteln ging, der Bettelleute waren überall 
                          viele. Das Geld war äußerst knapp. Einer der größten 
                          Bauern hat mit gesagt, in seiner Jugend seien nicht 
                          viele Häuser gewesen, da man jederzeit 3 Batzen habe 
                          finden können. Wenn da einmal in der Spinnstube eine 
                          Festlichkeit gewesen sei, die Burschen einen Krug 
                          Branntwein getrunken hätten, dann hätte jeder seine 
                          liebe Not gehabt, die paar Kreuzer dafür zusammen zu 
                          bekommen. Und viele Leute hätten im Dorf gelebt, die 
                          jahraus, jahrein nur an den allerhöchsten Festtagen 
                          ein Stück Fleisch auf den Tisch bekommen hätten, da 
                          sie zum kaufen eines Ferkels und heranmästen eines 
                          Schweins zu arm gewesen seien. Da griff, wer konnte, 
                          zu, sich mit Spinnen Geld zu verdienen. Dazu kam, daß der Bauer sich aus selbstgesponnenem 
                          Garn kleidete. Das "schäfftig Zeug" und die 
                          "Beiderwand" standen noch in Ehren. Die Mutter gab der 
                          heiratenden Tochter und dem heiratenden Sohn 
                          selbstgesponnenes Tuch oder Kloben Flachs mit. Die 
                          Dienstboten bekamen einen Teil des Lohns in 
                          selbstgewebtem Tuche oder sie erhielten auch ein Stück 
                          Feld mit Flachs eingesät. Das waren die goldenen 
                          Zeiten des Spinnrades. Die Spinnstube war zugleich 
                          Fabrik- und Hauswerkstätte.
 Aber sie waren noch mehr als das. Die Arbeit war doch 
                          eine andre als in unsern Fabriken. Da saß kein 
                          Meister, der den Arbeitenden fortwährend auf die 
                          Finger sah, da war keiner, der das Schwätzen und 
                          Singen verbot, da konnten sich diejenigen in 
                          Spinnstuben zusammentun, die dem Alter nach 
                          zusammengehörten. Wohl gab die Mutter dem Sohn oder 
                          der Tochter, wie es im Vogelsberg hie und da heute 
                          noch ist, einen bestimmten Teil Garn zu spinnen auf, 
                          aber immer blieb noch Zeit für Vergnügungen, zu Spiel, 
                          zu Scherz und auch wohl Tanz. Das schnurrende Spinnrad 
                          störte die Unterhaltung und das Singen nicht. Von neun 
                          Uhr ab - und das ist heute noch so - kommen die 
                          Burschen in die Mädchenspinnstuben. Die Liebe der 
                          jungen Leute konnte hin und her die Fäden spinnen. So 
                          waren die Spinnstuben die Lust und Freude der Jugend.
 Man versteht von hier aus auch, mit welch' ungeheurer 
                          Kraft die Spinnstuben die einzelnen zu ihr gehörigen 
                          zusammenhielt. Es bildete sich von selbst unter den 
                          Gliedern eine Kameradschaft, wie sie sich der Mensch 
                          nur wünschen mag. Oft erzählte ein Kamerad dem andern, 
                          was er selbst den Geschwistern und Eltern vorenthielt. 
                          Die Spinnstubenkameraden singen im Vogelsberg heute 
                          noch dem "Bait" machenden das Hochzeitslied, sie 
                          kaufen dem ehelich werdenden ein Hochzeitsgeschenk, 
                          sie besuchen miteinander die Märkte und Kirmes in den 
                          benachbarten Orten, sie lassen den kranken Kameraden 
                          nicht allein, sie gehen nebeneinander zum hl. 
                          Abendmahl, sie gaben früher den Hauptteil an der 
                          Beerdigung, wenn einer von ihnen starb, indem sie 
                          selbst ihm das Grab gruben und den Sarg trugen. Die 
                          Spinnstube war und ist noch für sie die zweite Heimat.
 
 2. Das Wort "Spinnstubb" hat im Munde unserer 
                          Vogelsberger Bauern eine ganz bestimmte Bedeutung. Man 
                          nennt so eine Gesellschaft von jungen Leuten einerlei 
                          Geschlechts. Ich schreibe mit Vorbedacht: "einerlei 
                          Geschlechts". Wir haben im oberen Vogelsberg heute 
                          noch Mädchenspinnstuben und Burschenspinnstuben, aber 
                          wir haben keine Spinnstuben, zu denen auch etwa die 
                          Glieder einer Familie oder Burschen und Mädchen 
                          zugleich gehören. Wenn, wie es von Abend neun Uhr an 
                          wohl überall im Vogelsberg der Fall ist, Burschen und 
                          Mädchen bei diesen Zusammenkünften vereinigt sind, so 
                          sind die Burschen Gäste der Mädchenspinnstuben, sie 
                          haben nicht in deren Leitung hineinzureden, sie bilden 
                          sie nicht mit. Ebenso dürfen die Glieder der Familie, 
                          die die Spinnstube aufnimmt, nicht zu ihr gezählt 
                          werden. In der Umgebung von Gießen haben wir die 
                          Burschenspinnstuben seit Jahren nicht mehr, aber es 
                          gab sie früher. Alte Leute wissen sich wohl zu 
                          erinnern, daß sogenannte "Spillestuben" existiert 
                          haben und diese Spillestuben, in die sich gerade in 
                          den letzten Jahren auch die Burschenspinnstuben des 
                          Vogelsberges zu verwandeln angefangen haben, sind die 
                          Reste dieser alten Spinnstuben.Ich habe Notizen nach Burschenspinnstuben gesucht und 
                          zwei Hinweise gefunden: Zum ersten eine 
                          Kunkelstubenordnung des schwäbischen Dorfes 
                          Sigertshofen von 1700 in der es heißt: "Die Buben 
                          sollen in ihre Gungelstuben gehen und nicht zu den 
                          Mägden, sondern ihnen ausweichen." Ferner lautet eine 
                          Bemerkung des Pfarrers Gaissen zu Frau Thann, in 
                          seiner Arche Noës von 1693: "Eine gar böse Gelegenheit 
                          ist solche Gungelstuben, wo die jungen Burschen allein 
                          zusammen kommet, unzüchtig redet, singet, springet, 
                          scherzet, betastet, sich begeben." Auch dies eine 
                          Beweis, wie mancher alte Brauch noch im Vogelsberge 
                          lebendig ist.
 Neben diesen Spinnstuben des ledigen Volkes bestanden 
                          früher auch noch Spinnstuben verheirateter Männer. So 
                          in Beuren, Atzenhain, Heinbach, Eichelhain. In diesem 
                          letzeren Orte haben die Männer nicht nur in ihren 
                          Spinnstuben gesponnen, sondern auch die Feste, die die 
                          Spinnstuben des ledigen Volkes feierten, mit gefeiert, 
                          als "lange Nacht", Scheidowet", Neujuhr".
 3. Die Spinnstube dauert den Winter hindurch, etwa 
                          von Ende November bis Pfingsten. Zu Großen-Linden 
                          begann sie am Abend des 25. November, des Tages des 
                          Butzbacher Katharinenmarktes, wie noch an manchen 
                          Orten der Wetterau. Einige Tage vorher kamen die 
                          Altersgenossen zusammen und beredeten den gemeinsamen 
                          Gang zum Markte, auf dem die Leute aus dem Hüttenberge 
                          damals hauptsächlich den Flachs verkauften.In Engelrod beginnt sie, nachdem man mit der Arbeit 
                          auf dem Felde aufgehört hat. Ihr ursprünglicher 
                          Endtermin scheint Pfingsten zu sein. "Das Recht ist 
                          bis Pfingste" hat einmal ein Mädchen in Engelrod 
                          seiner Herrschaft gesagt, als diese es nach Ostern die 
                          Spinnstube nicht mehr besuchen lassen wollten. Doch 
                          kommt man in der Zeit zwischen Ostern und Pfingsten 
                          nur noch an den Sonntagen zusammen. In König im 
                          Odenwald dauern die Spinnstuben bis Fastnacht, ähnlich 
                          in anderen Orten.
 Die einzelnen Spinnstubenabende beginnen heute im 
                          Vogelsberge etwa um sechs Uhr. Die jungen Leute suchen 
                          die Spinnstube nach der "Noachtsupp" auf. Im Kreise 
                          Lauterbach ist der Schluß der Spinnstuben auf abends 
                          zehn Uhr angesetzt. Natürlich wird diese Anordnung 
                          zuweilen übertreten, aber im allgemeinen hat sie sich 
                          gut eingelebt. Gendarmen und Bürgermeister hielten 
                          wenigstens in der Zeit, als ich in Engelrod wohnte, 
                          streng darauf. In Beuern und anderen Dörfern des 
                          Kreises Gießen hört die Spinnstube erst um elf Uhr 
                          auf, eine Tatsache, die schon oft die Nachbarn der 
                          Spinnstube und Freunde der Jugend veranlaßt hat, nach 
                          einer gleichen Verordnung auszuschauen.
 4. Sehen wir uns nach dem Orte um, an dem dieselbe 
                          gehalten wird, so können wir im Vogelsberge von zwei 
                          Arten der Spinnstube reden. Wir haben einmal die 
                          Spinnstube mit einem festen Heim, d.h. sie tagt den 
                          ganzen Winter über in einem und demselben Hause, und 
                          dann die Wanderspinnstube, d.h. sie wechselt 
                          wöchentlich ihren Aufenthalt; in dieser Woche kommt 
                          sie bei den Eltern dieses Mädchens, in der nächsten 
                          bei den Eltern jenes zusammen. Eine Spinnstube mit 
                          festem Heim haben wir z.B. heute noch in Engelrod, 
                          hatten wir früher auch in Schlechtenwegen und anderen 
                          Orten. Die wöchentlich wechselnde Spinnstube findet 
                          sich z.B. in Beuern und Dörfern der Nachbarschaft, wie 
                          auch in solchen des Odenwaldes. Auch täglich 
                          wechselnde war früher in Großen-Linden heimisch, und 
                          so genau wurde hier die Reihenfolge eingehalten, daß 
                          wenn die Spinnstube in diesem Jahr im Hause A. 
                          angefangen hatte, sie im nächsten beim Hause C. 
                          begann. Bei Trauerfällen findet sich gewöhnlich im 
                          Kreise Alsfeld eine geringere Familie bereit, die 
                          Spinnstube gegen Entgelt zu übernehmen.In Engelrod und seiner nächsten Umgebung haben wir 
                          also die Spinnstube mit festem Heim. An Sonntagabenden 
                          im Spätherbst gehen die Mädchen oder Burschen aus, 
                          eine Stube im Ort für ihre Spinnstube auszumachen. Der 
                          Herr des Hauses, in dem die bittende Schar erhört 
                          wird, wird "Spinnherr" , die Hausfrau "Spinnfrau"; das 
                          Haus selbst ist das "Spinnhaus". Als Vergütung für die 
                          Aufnahme bezahlen die Spinnkameraden das Petroleum, 
                          das in der Stube allabendlich verbrannt wird. (Die 
                          Gastfamilie hielt sich ebenfalls in Raum auf, brauchte 
                          also kein eigenes Licht). Außerdem schenken sie der 
                          Familie zu Weihnachten oder Neujahr eine Tischlampe, 
                          eine Bettdecke u. dergl. Am Geburtstage des Hausherren 
                          erfreut man diesen durch eine Pfeife oder Zigarren. 
                          Ferner nimmt die Familie an den Feiern der Spinnstube 
                          teil, ißt und trinkt mit. Der Spinnherr und mehr noch 
                          die Spinnfrau sollen die Ordnung der Spinnstube 
                          aufrecht halten. Es erschien mir eine große Sorge des 
                          Pfarrers zu sein, hier die Augen aufzutun und vermöge 
                          seines Einflusses bei den jungen Leuten, sie von 
                          Häusern mit unpassenden Hauseltern abzuhalten. Es wird 
                          aber den suchenden Mädchen und Burschen nicht immer 
                          leicht, ein Haus zu finden - oft bleibt allerdings 
                          eine Spinnstube auch viele Jahre lang in demselben 
                          Hause - um so mehr, als im Kreise Lauterbach, der in 
                          den Spinnstubenverfügungen musterhaft ist, laut 
                          behördlicher Verfügung die Spinnstube nicht bei einer 
                          alleinstehenden Witwe und nicht in einem Hause mit 
                          schulpflichtigen Kindern gehalten werden darf. 
                          Außerdem lieben viele Familien den Lärm, die Störung 
                          der eigenen Behaglichkeit, die Beschmutzung von Stube 
                          und Hausehren nicht.
 5. Ich komme nun zu der Arbeit in der Spinnstube.Das eigentliche Arbeitsgerät ist das Spinnrad, auch 
                          kurzum "Rad genannt, das sich uns als eine kunstreiche 
                          Vorrichtung darstellt. (Im Vogelsberg wird mit 
                          "Bockrad", mit Doppelschnursystem, gesponnen, bei dem 
                          das Rad etwas niedriger neben dem Spinnkopf sitzt. à 
                          Technik: Spinnen von Wolle.)
 Ein vertikal stehender Stock trägt den mit Flachs, den 
                          "Rockel" so die Engelröder Bezeichnung, sonst auch 
                          "Rocken" genannt, der oft mit eine bunten, auch 
                          buntseidigen "Schnur" - einem Band - umwunden ist; ein 
                          Geschenk von freundlicher Hand. Unten am Rockenstock 
                          ist ein kleines Gefäß mit Wasser angebracht, das "Netztöpfche" 
                          aus dem die Spinnerin von Zeit zu Zeit die Finger und 
                          damit den Faden netzt.
 Es ist eine Kunst, den Flachs um den Rocken richtig 
                          herumzulegen. Man hat dafür das Sprichwort: "Der 
                          Flachsrockel muß sein, daß er kracht und der 
                          Wergrockel, daß er lacht." D.h. der Rocken des 
                          Flachses soll fest, der Rocken des Werkes lose sein. 
                          Die Mädchen spinnen in ihren Spinnstuben gewöhnlich 
                          den Werg, die Burschen in ihren den Flachs. Ein 
                          Mannskerl versteht es ganz selten, seinen Rockel 
                          richtig mit Flachs zu umwinden. Darum wandten sich die 
                          spinnenden Burschen gern an die "Weibsleut". Wehe aber 
                          der Ungeschickten! Der Rockel wurde, wie sie ihn 
                          hergestellt hatte, an die Stubentür mit Kreide 
                          gezeichnet, und an Hohn und Spott fehlte es nicht.
 Die Kunst der Spinnerin besteht darin, einen möglichst 
                          gleichmäßigen und feinen Faden zu spinnen. Eine sehr 
                          geschickte und fleißige Spinnerin, die von Morgens 4 
                          Uhr ab bis spät Abends ununterbrochen spann, bracht, 
                          beiläufig gesagt, in einem Tage ungefähr drei Haspel 
                          (Strang) fertig, das ist drei mal 520 mal den Umfang 
                          des Haspelrades. Doch war das eine Ausnahmeleistung.
 In der Spinnstube gebrauchte man auch noch das andere, 
                          zum Spinnrad gehörige Gerät, den Haspel. Es dient 
                          dazu, das auf der Spule aufgelaufene Garn in einen 
                          Strang zu binden. Eigentümlich ist, daß der in 
                          Engelrod und Umgebung gebrauchte Haspel einen größeren 
                          Radumfang hat als der Haspel, den man in Beuren, 
                          Hungen oder Meiches gebrauchte. In Engelrod geben 26 
                          Faden, d.h. 26 mal der Umfang des Haspelrades ein 
                          Gebind, 10 Gebind "e Hall" = einen Halben; zwei Hall 
                          einen "Zaspel", das ist ein Strang. In den anderen 
                          Orten geben 60 Umwindungen ein "Geblätz" (der Name 
                          kommt daher, daß nach 60 Umdrehungen der Haspel einen 
                          "Blatz" tut) zehn Geblätz eine Zahl, d.h. ein Strang.
 Beim Spinnen in der Spinnstube hat jedes Mädchen 
                          seinen bestimmten Platz. In der "doppelten Eck" (da, 
                          wo die Bänke zusammenstoßen) sitzt das "Spinnmädchen", 
                          die Tochter des Hauses. An diese reihen sich rechts 
                          und links dem Alter nach die anderen an. Der Platz des 
                          "Spinnmädchens gilt als Ehrenplatz.
 In der Spinnstube wird aber nicht nur gesponnen. Eine 
                          Hauptunterhaltung der Mädchen während des Spinnens ist 
                          das Singen. Die Mädchen singen die Lieder zweistimmig, 
                          oder, wie der Bauer sagt "hell" und "grob". Singen die 
                          Burschen mit, so übernehmen diese die zweite Stimme. 
                          In jedem Winter hat man andre Lieder als 
                          Lieblingslieder, da in jedem Winter neue bekannt 
                          werden oder alte wieder zu Ehren kommen.
 Neben dem Spinnen nimmt die gemütliche Unterhaltung 
                          einen breiten Raum ein. Die Dorfneuigkeiten werden 
                          erzählt und erörtert. Wenn der Pfarrer auf der Kanzel 
                          oder sonstwo ein wenig sehr deutlich geworden ist, 
                          wird das verarbeitet und "simmiliert", wer dem Pfarrer 
                          dies oder das gesagt haben kann. Neckereien, 
                          Spöttereien, Klatschereien werden laut - kurz, es wird 
                          "schlächt geschwätzt".
 Oft geht auch die Unterhaltung auf Geister und 
                          Gespenstergeschichten und auf Dorfsagen über. Doch 
                          auch die lustigen Anekdoten und Schnurren fehlen 
                          nicht. Es hat mich ganz eigen berührt, als ich bei der 
                          Sammlung solcher Spinnstubengeschichten auf einen 
                          Stoff kam, den die Brüder Grimm in ihren deutschen 
                          Hausmärchen gleichfalls haben.
 Ein Hauptspaß der Mädchen, so lange sie unter sich 
                          sind, ist das "uff de Laust' gehen". Eine jede 
                          Spinnstube der Mädchen hat mit der gleichaltrigen 
                          Spinnstube der Burschen vorzugsweisen Verkehr. 
                          Zwischen diesen beiden Spinnstuben wird nun viel 
                          Neckerei getrieben. Man versucht unbemerkt an die 
                          Fenster der anderen Spinnstube heranzuschleichen und 
                          wirft nun mit einem Male eine Handvoll Erbsen gegen 
                          die Scheiben. Der Lärm, den das macht, und der 
                          Schrecken, den die Insassen bekommen! Oder es wird 
                          "Pfeffer gerieben", d.h. am Eckpfosten des Hauses wird 
                          draußen mit einem Holze, das über die Schindeln hin 
                          und her bewegt wird, ein lautes, kreischendes Geräusch 
                          hervorgebracht, mit dem gleichen Erfolge und anderes 
                          mehr.
 Die Burschenspinnstuben sind die Orte, in welchen die 
                          Spottgedichte verfaßt werden, die ja in allen Dörfern 
                          nicht selten sind. Weibliche Poeten kennt der 
                          Vogelsberg kaum. Diese Spottgedichte, die auf gewissen 
                          Personen oder Vorfälle gemacht werden, werden in der 
                          Nacht heimlich an die Backhaustür oder sonst an einem 
                          Platz angeschlagen, an dem viele vorbeigehen, und 
                          finden immer am folgenden Tag einen dankbaren 
                          Leserkreis. Zuweilen sind sie voll guten Witzes und 
                          Humor.
 An jedem Spinnstubenabend um neun Uhr, Sonntags um 
                          sieben Uhr, gehen die Burschen aus ihrer Spinnstube in 
                          die der Mädchen, zu der sie sich halten. Wer früher 
                          kam, wurde "Hännerslochskriecher" genannt. Die 
                          Burschen beanspruchen, wenn sie älter waren, den Platz 
                          auf der Ofenbank; so lange sie jünger sind, suchen sie 
                          sich in die Reihe der Mädchen hineinzubringen.
 Die Burschen sehen den Mädchen zu und fangen 
                          Neckereien an. Sie hängen den "Knecht" (Trittbrett) am 
                          Spinnrad ab, daß sie nicht mehr spinnen können, um die 
                          Mädchen zu veranlassen, sich mit einem Kusse zu lösen. 
                          Oder sie hängen demselben den Rocken ab. Sie schütteln 
                          auch wohl den Mädchen die Schürze, daß die "Ane", das 
                          unbrauchbare am Flachs, zu Boden fallen, und 
                          beanspruchen für diesen Liebesdienst gleichfalls einen 
                          Kuß. Setzt sich ein Bursch neben ein Mädchen, das ihn 
                          nicht mag, so sagt es auch wohl, wenn es den nötigen 
                          Mut hat:
 | 
                        
                          | 6. Es bleibt mir noch übrig, die Feste und die 
                          bedeutungsvollen Tage der Spinnstube zu schildern. Da 
                          sie meistens mit einem Tanze schließen, so sei mir 
                          gestattet, einige Worte über das Tanzen in den 
                          Spinnstuben zu vorauszuschicken. Die Reigen werden meistens bei den Klängen einer 
                          Ziehharmonika, selten einer Geige getanzt. Die 
                          Ziehharmonika ist noch nicht lange im Vogelsberg 
                          eingebürgert. Die alten Leute erzählen, wie früher die 
                          Burschen die Musik durch Pfeifen auf einem mit Papier 
                          umwickelten Kamme selbst hergestellt, oder auch die am 
                          Tanze Unbeteiligten die Melodie gesungen hätten.
 Weiterhin ist zu beachten, daß in engen Stuben getanzt 
                          wird. Oft zwanzig und mehr sind da vereinigt. Für alle 
                          reichen die Bänke und die wenigen Stühle gar nicht 
                          aus. In den Zwischenpausen des Tanzes setzen sich oft 
                          zwei, drei oder vier aufeinander, immer der eine auf 
                          des anderen Knie, ein für die "Führnehmen" gar 
                          seltsamer Anblick. Man male sich einmal dies Bild der 
                          Spinnstube aus, vergesse nicht den Dampf der Zigarre 
                          (niedrigster Qualität) die sich die Burschen in den 
                          Zwischenpausen des Tanzes leisteten, das Gesinge, die 
                          Krische die mitunter laut werden, die drückende Luft - 
                          es ist für die Städter nichts weniger als ein schönes 
                          Bild, dieser Blick in einen Tanzsaal des Landes.
 Die erste Feier der Spinnstube ist der "Eenzog", 
                          das "Iweihe". Im Odenwald sagt man: sie wird "ohgesoffe". 
                          Die Mädchen kochen Kaffee, die Burschen holen sich 
                          einen Krug Branntwein oder Bier. Wenn die Burschen die 
                          Mädchen besuchen, bezahlen sie ihnen einen Weck, die 
                          auf dem Lande eine Leckerei darstellen. Früher wurde 
                          immer getanzt, heute nur noch selten und nur bis zehn 
                          Uhr. Will eine Spinnstube über zehn Uhr hinaus tanzen, 
                          so bedarf es eines "Tanzzettels" den sie sich zu 
                          beschaffen hat. Die "lang Nacht", oder, wie man in Hopfmannsfeld 
                          und Schlechtenwegen sagt, der "erste Scheidewet", ist 
                          der zweite bedeutsame Tag der Spinnstube. Es war in 
                          Engelrod stets die Nacht vom 23. auf 24. Dezember. In 
                          den Spinnstuben wurde früher an diesem Abend besonders 
                          lang gesponnen. Die Dienstboten konnten nach alter 
                          Sitte von zehn Uhr ab für sich selbst spinnen. Am 
                          Abend der langen Nacht kommen in die Spinnstuben 
                          Frauen, die "Kichelche" verkaufen. Die Burschen nehmen 
                          sich davon für die Mädchen.Es beginnt nach der langen Nacht die Zeit der 
                          altheiligen Zwölfnächte um Neujahr, in welchen in 
                          alten Zeiten die ganze Arbeit, vor allem auch das 
                          Spinnrad stillstand, die "Heltag", die "Nittutag" wie 
                          die Bauern im oberen Vogelsberg diese Zeit bezeichnen, 
                          die "Laustag" (Lostage) wie man in Beuern sagt. In 
                          Engelrod oder auch in Schlechtenwegen meidet man heute 
                          noch bis Neujahr alles spinnen; das Rad ist auf die 
                          Kammer der Oberstub' gebracht.
 Am Abend des zweiten Christtages feiert man "Scheidowet! 
                          (Scheideabend) und zwar Burschen und Mädchen in den 
                          Spinnstuben der letzteren. Für das Essen, Wurst und 
                          Brot, zum Schluß Kaffee und dazu Kuchen, sorgen die 
                          Mädchen, die Burschen haben die Getränke zu stellen, 
                          früher Brandwein, heute Bier. Alles in Allem: eine 
                          Tanznacht der Spinnstuben. Am Nachmittage des 
                          nächstfolgenden Tages begleiten die jeweiligen 
                          Spinnstuben-Gemeinschaften den in einen neuen Dienst 
                          tretenden Kameraden zu seiner neuen Herrschaft. Gesang 
                          verkürzt den Weg. Überall hört man am Nachmittag des 
                          "Scherztages" singen, auf den Wegen und Chausseen, die 
                          von einem Dorf zum anderen ziehen, bald von einer 
                          Schar Mädchen, bald von einer Schar Burschen.
 Das nächste größere Fest findet am "Naujuhrschowet", 
                          dem Silvesterabend statt. Da ladet die Spinnstube der 
                          Burschen die Mädchenspinnstube, mit der sie Verkehr 
                          hat, zu sich ein. Am Silvesterabend nach dem 
                          Gottesdienst versammeln sich die Mädchen in ihrer 
                          Spinnstube und warten, bis die Burschen sie holen. Es 
                          ist kein Anstand, wenn ein Mädchen von selbst hingeht. 
                          Die Burschen kommen und holen ihre Gäste. Das erste, 
                          was ihnen vorgesetzt wird, ist zuckergebrannter 
                          Branntwein. Dann beginnt der Tanz, den kurz vor zwölf 
                          eine Eßpause, in der die Burschen die Mädchen bedienen 
                          und Wurst und Brot darreichen, unterbricht. Um zwölf 
                          Uhr beginnen die Glocken zu läuten. Alles geht vor die 
                          Haustür und singt: "Hilf Jesus, laß es gelingen".Am Epiphaniastage wählten die Spinnstuben in 
                          Schlechtenwegen einen König und eine Königin, auch in 
                          Engelrod und anderen Pfarreien kennt man diesen alten 
                          Brauch.
 Das letzte große Fest der Spinnstube ist die 
                          "Fasert" oder Fastnacht, die im Vogelsberg allgemein 
                          nur am Fastnachtsdienstag gefeiert wird. Die Mädchen 
                          backen am Nachmittag in den Spinnstuben Kreppel, mit 
                          welchen sie die am Abend kommenden Burschen bewirten. 
                          Am Abend wird flott getanzt.Nach Fastnacht kommt die Zeit des "Strickgehens". Die 
                          Mädchen besuchen ihre Freundschaft in den benachbarten 
                          Dörfern. Oft sieht jetzt die Spinnstube fremde Gäste.
 Der letzte bedeutsame Tag im Jahresverlauf ist dann 
                          noch der zweite Ostertag. Man sagt: an diesem Tage 
                          wird "das Licht versoffe". Die Mädchen trinken Kaffee, 
                          die Burschen einen Krug Branntwein.
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